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Demokratie und Menschenrechte

Welchen Beitrag können Demokratie- und Menschenrechtsbildung gegen Antisemitismus leisten? Einige Anregungen dazu finden Sie hier.



Antisemitische Einstellungen und Handlungen stehen im klaren Widerspruch zu Demokratie und den damit gewährleisteten und geschützten Menschenrechten. Umgekehrt bildet die Arbeit auf Grundlage von Demokratie und Menschenrechten die Basis für die Antisemitismusprävention. Doch welchen Beitrag kann die Demokratie- und Menschenrechtsbildung gegen Antisemitismus genau leisten? Und welche Aspekte gilt es bei einer kritischen Demokratie- und Menschenrechtsbildung zu beachten?

Demokratie und Menschenrechte als Basis für die Antisemitismusprävention

Antisemitismus ist eine anti-moderne und antidemokratische Weltanschauung. Sie widerspricht der Demokratie, weil ihr zufolge die Macht nicht etwa bei der Bevölkerung und ihren Vertreter*innen liegt, sondern bei den „jüdischen Weltverschwörern, die im Hintergrund ihre Strippen ziehen“. Politiker*innen werden so als bloße Marionetten empfunden, die einer Agenda folgen, die allein „den Juden“ zu Gute kommt und allen anderen Menschen schadet. Diese Erklärung reduziert komplexe moderne Zusammenhänge auf ein einfaches wie falsches Schema und greift eine Minderheit an. Folgt man der Logik des Antisemitismus konsequent, sind Antisemit*innen nicht Täter*innen, sondern Opfer der verschwörerischen Macht, die sich in „den Juden“ personifiziert, 1 und eine Welt ohne „die Juden“ wäre eine schönere. 2 Doch auch viele Menschen ohne ein geschlossenes antisemitisches Weltbild tragen Versatzstücke antisemitischen Denkens in sich. So glauben 45,7% der Menschen in Deutschland, dass es geheime Organisationen gibt, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben. 3 20,8% stimmen der Aussage zu: „Auch heute ist noch der Einfluss der Juden zu groß“. 4

Menschenrechte sollen „den größtmöglichen Schutz aller Menschen im Hier und Jetzt gewährleisten“. 5 Die Achtung und der Schutz von Menschenrechten ist ein wesentlicher Bestandteil jeder funktionierenden Demokratie. Antisemitismus hingegen „richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen“. 6 Antisemitismus ist demnach nicht mit Demokratie und Menschenrechten zu vereinbaren, da sie die Freiheit, Gleichheit und Sicherheit aller Menschen in Frage stellt und Diskriminierung fördert. Insbesondere in Zeiten, in denen der Antisemitismus wieder salonfähig wird, ist es wichtig, sich auf die Stärke und Wichtigkeit der Demokratie und Menschenrechte zu besinnen. Gerade Schulen sollen Orte sein, an denen demokratisches Denken und Handeln erlernt und gelebt wird. So sind Lehrer*innen dazu verpflichtet, „die Menschenwürde und die Gleichberechtigung aller Menschen einzuhalten und zu lehren und die Verletzung dieser Rechte zu thematisieren“. 7

Menschenrechte, Demokratie und das Verbot von bzw. der Einsatz gegen Diskriminierung hängen eng miteinander zusammen: Ein Grundprinzip einer demokratischen Gesellschaft ist die Würde jeder Person und das Recht auf gleiche Entfaltungsmöglichkeiten. Diskriminierung verletzt dieses Prinzip. Eine demokratische Gesellschaft muss sich also Diskriminierung konsequent entgegenstellen. Sich gegen Respektlosigkeit, Feindschaft bzw. Hass gegenüber Jüdinnen und Juden – also gegen Antisemitismus – einzusetzen, ist demnach ein wichtiger Beitrag zu einer demokratischen Gesellschaft auf Basis der Menschenrechte.

Menschenrechtsbildung

Gleichwohl ist die Auseinandersetzung mit Demokratie und Menschenrechten eine kritische und nicht immer leichte. Wichtig ist, dass Menschenrechte und deren Einhaltung nicht nur in Bezug auf weit entfernte Länder oder Extremsituationen präsent gemacht werden, sondern auch im Hier und Jetzt. 8 So ist der Wissenserwerb über die Entstehung und die (komplexen) Inhalte der Menschenrechte nur ein Teil der Menschenrechtsbildung, der schnell zu einem nächsten Schritt führt: Denn auch in der deutschen Demokratie kommt es – trotz des positiven Bezugs auf die Menschenrechte – im Alltag immer wieder zu Einschränkungen. So ist das Verbot von Diskriminierung menschenrechtlich verankert, doch ist Diskriminierung, wie es auch in Bezug auf Antisemitismus deutlich wird, Realität. Notwendigerweise folgt aus der kritischen Auseinandersetzung mit den Menschenrechten „eine Kritik an Verhältnissen und Verhalten, Strukturen und ‚Kulturen‘“. 9 Eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen (Macht-)Verhältnissen ist also ein entscheidender Teil der Bildungsarbeit zu Menschenrechten.

Wichtig ist aber nicht nur, das staatliche Handeln und die gesellschaftlichen Gegebenheiten zu hinterfragen und sich darin einzumischen, sondern auch selbstkritisch das eigene Verhalten zu beleuchten. Jede*r Einzelne ist für die Achtung der Menschenrechte und damit die Achtung der Rechte aller verantwortlich. Sich mit der eigenen Position zu beschäftigen, über Generationen weitergegebenes (auch antisemitisches) Wissen zu hinterfragen, eigene Privilegien zu erkennen und eigene Verstöße gegen die Rechte anderer wahrzunehmen, ist ein schmerzhafter Prozess und ruft im ersten Moment häufig Gegen- und Abwehr hervor. 10 Diese Widerstände zu überwinden und das eigene Verhalten zu hinterfragen und zu verändern, verlangt geeignete Methoden und einen längerfristigen Prozess, und kann dann – das ist die gute Nachricht – wirklich gewinnbringend sein.

Gleichzeitig gibt es Menschen, deren Rechte häufig verletzt werden. Diese Erfahrungen mit Diskriminierung und Benachteiligung müssen ernst genommen und anerkannt werden. Es gilt für alle, sich für ihren Schutz starkzumachen, denn zentral für die Menschenrechte ist die Achtung der Rechte aller Personen. Dies meint im Sinne des Powersharings beispielsweise, sich für Empowermentworkshops bzw. - gruppen einzusetzen, die einen geschützten Raum voraussetzen, um sich im Umgang mit diesen Erfahrungen gegenseitig unterstützen und stärken zu können. Darüber hinaus bedeutet es, den Stimmen Diskriminierter Gehör zu verschaffen und Menschenrechtsverletzungen konsequent zu ahnden.

Die Menschenrechtsbildung muss ihre Vermittlung der Menschenrechte jedoch auch kritisch reflektieren. Menschenrechte sollten nicht als ein theoretisches Konstrukt aus einer bestimmten Tradition heraus vermittelt werden, sondern als universal geltend. Dafür kann es sich lohnen, von einem subjektbezogenen, „voraussetzungsarmen Menschenrechtsverständnis“ 11 auszugehen. Dadurch können alle Teilnehmer*innen ihre Vorstellungen und Wünsche sowie ihre Erfahrungen innerhalb der bestehenden Verhältnisse artikulieren und die Realität der zurzeit bestehenden Menschenrechtsgarantien kritisch beleuchten. Dies fördert die „kritische Auseinandersetzung über Anspruch und Wirklichkeit von menschenrechtlichen Diskursen“ 12 und ist gleichzeitig eine Einladung, sich an der Weiterentwicklung des Konzepts zu beteiligen hin zu einer inklusiveren, gerechteren Gesellschaft, die von einer Kultur der Menschenrechte durchzogen ist.

Auch unter dem Deckmantel der Menschenrechte können antisemitische Handlungen gerechtfertigt werden. So z.B. im Fall des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Dieses im Juni 2006 gegründete Gremium soll über Menschenrechtsverfehlungen in den Mitgliedsstaaten der UN aufmerksam machen und diese verurteilen. Die 47 Mitgliedsländer müssen zwar theoretisch höchste Standards bei der Einhaltung der Menschenrechte erfüllen, faktisch sind aber dort Länder wie Afghanistan, die demokratische Republik Kongo oder auch der Sudan vertreten (Stand 2020). Der Menschenrechtsrat hat eine feste Tagesordnung, in der Israel im Tagesordnungspunkt 7 als einziges Land gesondert und regelmäßig behandelt wird. So kamen zwischen seiner Gründung und August 2015 laut der NGO UN Watch im UN-Menschenrechtsrat 62 Resolutionen gegen Israel zustanden, während es nur 55 gegen alle anderen Länder dieser Welt gab. So wird unter dem Deckmantel der Menschenrechte der Jüdische Staat und die einzige Demokratie im Nahen Osten dämonisiert und delegitimiert. 13

Demokratiebildung

Auch die Demokratie sollte nicht als ein statisches Konzept, sondern als etwas vermittelt werden, das von der Teilhabe aller lebt. Nur wenn alle mitmachen, können alle Meinungen gehört, kann gemeinsam etwas verändert werden, nur so wird Selbst- und Mitbestimmung möglich.

Um eine demokratische Grundhaltung zu entwickeln und zu politisch handelnden Subjekten zu werden, müssen Menschen schon früh und ständig ihre Rechte und ein Kernwissen des demokratischen Systems vermittelt werden. Doch darf politische Bildungsarbeit nicht bei einer Vermittlung und Analyse demokratischer Systeme und Programme stehen bleiben. Es zielt also zum einen darauf ab „die Urteilsfähigkeit der AkteurInnen gegenüber politischen Zusammenhängen zu unterstützen, zum anderen auch darauf, die Handlungsfähigkeit zu stärken, also Interesse und Überzeugungen ggf. im politischen Prozess zur Geltung zu bringen“. 14

Partizipation und die damit zusammenhängende Erfahrung von Selbstwirksamkeit soll also über kognitive Vermittlung hinaus erfahrungs- und handlungsorientiert erlernt werden. Schüler*innenvertretungen und Klassensprecher*innen zu wählen, ist beispielsweise ein erster Ansatzpunkt, anhand dessen sich Schüler*innen mit einem demokratischen Konzept auseinandersetzen können. Doch auch die Lust am (politischen) Handeln und den damit zusammenhängenden Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte – also die Thematisierung aber auch Bekämpfung von Ungleichheiten – ist Teil einer kritischen Demokratiepädagogik. So kann durch die aktive Beteiligung an Schüler*innenvertretung, aber auch an Demonstrationen oder Bürger*inneninitiativen politische Mitgestaltung erfahren und gelernt werden, wie Ungerechtigkeiten artikuliert und Veränderungsprozesse mitgestaltet werden können.

Kritische Demokratiepädagogik meint jedoch auch, die Einschränkungen von Partizipation zu thematisieren. Es können nicht alle gleichermaßen mitbestimmen: So sind auf der Ebene von Wahlen Einschränkungen wie den fehlenden Zugang von z.B. Menschen ohne deutschen Pass, aber auch in Bezug auf außerparlamentarische Aktionen Einschränkungen durch soziale Ungleichheitsverhältnisse in den Blick zu nehmen. 15

Meinungsvielfalt in Demokratie

Nicht zuletzt ist in der Thematisierung von Demokratie auch zu reflektieren, dass es eine große Meinungsvielfalt gibt. Ein gesellschaftlicher Konsens kann von Kompromissen, Entgegenkommen und Widersprüchen gekennzeichnet sein. Natürlich sieht die Realität der heutigen Demokratien nicht immer ideal aus, sondern es werden auch Entscheidungen zum Nachteil von bestimmten Menschen bzw. Gruppen getroffen. Unzufriedenheit mit und Widerstand gegen diese Entwicklungen sind wichtig, sie motivieren zum politischen Handeln und Einmischen. Es gilt also, mit diesen Widersprüchen und Unzufriedenheiten produktiv umzugehen. Dies ist auch eine Kernkompetenz in der Bildung gegen Antisemitismus: Zu verstehen, wie derzeit politische Entscheidungen auch zur eigenen Unzufriedenheit getroffen werden, bedeutet, konkrete Aushandlungsprozesse und die Schwächen der Demokratie zu erkennen und „komplexitätsreduzierenden Ansichten rationale Erklärungen von Weltgeschehnissen“ 16 entgegenzusetzen. Richten sich der Widerstand und die Unzufriedenheit gegen diese konkreten Prozesse statt gegen Einzelpersonen, Gruppen oder gar „ominöse Mächte“, fallen die Subjekte dem Schwarz-Weiß-Denken des Antisemitismus nicht so leicht anheim. In diesem Kontext müssen also die Anfälligkeit (z.B. unterschiedliche Partizipationsmöglichkeiten, Menschenrechtsverletzungen wie Polizeigewalt) und Probleme der Demokratie (wie z.B. Wahlmanipulation, Falschinformationen und Propaganda) thematisiert und als Teil eines Prozesses verstanden werden, den jede*r Bürger*in mit verändern kann. Die Demokratie sichert uns viele unserer Rechte und Sicherheiten, doch sie muss mitgestaltet, ständig neu überprüft, geschützt und im Hinblick auf moderne Entwicklungen neu ausgehandelt werden.

Demokratie als Lebensform

Demokratie meint mehr als eine Herrschafts- oder Regierungsform. Demokratie als Lebensform bezieht demokratisches Handeln nicht nur auf das Handeln zwischen Staat und Bürger*innen, sondern auch auf die Form des alltäglichen Zusammenlebens. Demokratie kann also täglich stattfinden. Überall dort, wo Menschen in Gruppen zusammen sind (Schulklasse, Kollegium, Freundeskreis etc.), kann man sich demokratisch verhalten und begegnen oder auch nicht. Demokratie kann verstanden werden als eine persönliche Handlungsoption oder eine Grundhaltung, wie man mit anderen Menschen umgehen möchte. Oder auch wie man sich wünscht, dass mit einem selbst oder anderen umgegangen wird.


„Manche haben ein idealisiertes Bild von einer harmonischen, problemlos funktionierenden Demokratie. Gemessen am Ideal schneidet die Realität schlecht ab. Eine harmonische, konfliktfreie Gesellschaft existiert jedoch nirgendwo. Wenn die Demokratie nicht die ideale Ordnung von Staat und Gesellschaft ist, so ist bisher jedenfalls noch keine bessere erfunden worden. Sie ist die einzige, die ein System von Spielregeln zur Verfügung stellt, in dem Konflikte friedlich ausgetragen, Kompromisse gefunden und Fehler korrigiert werden können.“


Literatur

  • https://www.amnesty.de/alle-30-artikel-der-allgemeinen-erklaerung-der-menschenrechte, zuletzt geprüft am 13.02.2024.
  • Bernstein, Julia; Diddens, Florian; Theiss, Ricarda; Friedlender, Nathalie (2018): „Mach mal keine Judenaktion!“ Herausforderungen und Lösungsansätze in der professionellen Bildungs- und Sozialarbeit gegen Antisemitismus. Im Rahmen des Programms „Forschung für die Praxis“ (Frankfurt University of Applied Sciences). Online verfügbar unter http://www.frankfurt-university.de/antisemitismus-schule, zuletzt geprüft am 13.02.2024.
  • Decker, Oliver; Brähler, Elmar (Hrsg.) (2018): Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Die Leipziger Autoritarismus-Studie 2018 (in Zusammenarbeit mit, der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung). Gießen: Psychosozial-Verlag. Online verfügbar unter https://www.boell.de/sites/default/files/leipziger_autoritarismus-studie_2018_-_flucht_ins_autoritaere_.pdf?dimension1=ds_leipziger_studie, zuletzt geprüft am 13.02.2024.
  • Feuerherdt, Alex; Markl, Florian (2018): Vereinte Nationen gegen Israel, wie die UNO den jüdischen Staat delegitimiert. Hentrich & Hentrich, Berlin.
  • Fritzsche, Karl-Peter (2013): Erfahrungen mit der Menschenrechtsbildung. In: Polis 1/2013, S. 7-9.
  • Hormel, Ulrike; Scherr, Albert (2004): Bildung für die Einwanderungsgesellschaft. Perspektiven der Auseinandersetzung mit struktureller, institutioneller und interaktioneller Diskriminierung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
  • International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA): Arbeitsdefinition Antisemitismus. Online verfügbar unter: https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus, zuletzt geprüft am 13.02.2024.
  • Kaletsch, Christa; Ensinger, Tami (2013): Antisemitische Welterklärung und Gerechtigkeitsempfinden. In: Bildungsstätte Anne Frank (Hrsg.): Weltbild Antisemitismus. Didaktische und methodische Empfehlungen für die pädagogische Arbeit in der Migrationsgesellschaft.
  • Makineci, Yasemin (2019): Bodies that shatter. Zur Psychoanalyse des Selbstmordattentates. In: Vukadinović, Vojin Saša (Hrsg.): Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik. Querverlag Berlin, S.80-91, hier S.82.
  • Zick, Andreas; Küpper, Beate; Berghan, Wilhelm (2019): Verlorene Mitte - Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19 (Hrsg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Franziska Schröter). J.H.W. Dietz, Bonn. Online verfügbar unter: http://www.fes.sk/fileadmin/user_upload/2019-FES-Studie-Verlorene-Mitte-Feindselige-Zustande.pdf, zuletzt geprüft am 13.02.2024.